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Frau, deren Gesicht durch das Ziffernblatt einer Uhr ersetzt ist, greift sich verzweifelt an den Kopf.

Stress und Krebsrisiko: Gibt es einen Zusammenhang?

Aktualisiert am:

  • Einen direkten Einfluss von Stress auf die Krebsentstehung konnten Forscher bisher nicht nachweisen – aber auch nicht ausschließen.
  • Vermutlich gibt es jedoch indirekte Einflüsse, durch die Stress wirken kann – zum Beispiel, wenn Betroffene mehr Tabak, Alkohol oder ungesundes Essen zu sich nehmen.
  • Wir erläutern den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Krebs durch Stress.

Biologisch gesehen ist Stress die Reaktion des Körpers auf Belastungen. Die entsprechenden Anforderungen können von außen oder von innen kommen. Stress kann deshalb auch verstanden werden als die Antwort des Organismus auf plötzliche Gefahrensituationen oder länger andauernde Beanspruchungen.

  • Anpassung an Notsituation: Über genetisch festgelegte Mechanismen wird der Organismus in Kampf- oder Flucht-Bereitschaft versetzt. Fachleute sprechen auch von Fight-or-Flight-Syndrom. Der Körper setzt das Hormon Adrenalin frei, das den Herzschlag und die Atmung erhöht und die Magen- und Darmtätigkeit hemmt. Diese Wirkung hält für 3 bis 5 Minuten an, mehr dazu unter Detailwissen.
  • Länger andauernde Belastungen: Da nicht jede Herausforderung innerhalb weniger Minuten bewältigt werden kann, hat der Körper Möglichkeiten entwickelt, auch mit längerfristig gesteigerten Anforderungen umzugehen. Die Nebennierenrinde bildet dabei Hormone, die den Stoffwechsel anregen. Dazu zählt Cortisol. Es trägt dazu bei, dass Menschen über längere Zeit besondere Beanspruchungen aushalten können, etwa Hitze, Kälte, Hunger oder seelische Belastungen. Auch diese Reaktion sollte jedoch kein Dauerzustand sein, sonst steigt beispielsweise langfristig das Risiko für Herzkreislauferkrankungen mehr dazu unter Detailwissen.

Wahrnehmung: Menschen schätzen Situationen unterschiedlich ein

Stresswahrnehmung

Ob eine Situation bei Ihnen Stress auslöst oder nicht, hängt auch von Ihren persönlichen Voraussetzungen ab.

Wie kommt es, dass Menschen unter ähnlichen Belastungen ganz unterschiedlich reagieren? Psychologen erklären dies so: Die persönliche Bewertung einer Situation und die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten zu ihrer Bewältigung haben einen großen Einfluss. In welchem Ausmaß beispielsweise eine Prüfung Stress verursacht, hängt auch davon ab, wie schwierig der Prüfling den Stoff findet und welches Vertrauen er in seine Lernleistung hat.

Im Alltag muss es für Stress jedoch nicht immer einen so eindeutigen Auslöser geben. Oft wird die Belastung gar nicht oder nur unterschwellig wahrgenommen. Das sind zum Beispiel unerledigte Aufgaben bei der Arbeit, die auch noch nach Feierabend zum Grübeln veranlassen, zu viele Termine in der Freizeit oder Konflikte mit Freunden oder Familie.

Fachleute unterscheiden bei der Stress-Entstehung in der Regel zwischen Stressoren, Stressreaktionen und Stressverstärkern. Was ist damit gemeint?

  • Stressoren sind die auslösenden Bedingungen und Situationen, beispielsweise Anforderungen im Berufsleben.
  • Stressverstärker ergeben sich aus der persönlichen Komponente: Ob und in welchem Ausmaß es zu einer Stressreaktion kommt, hängt davon ab, wie ein Mensch die Stressoren einschätzt. Wichtig sind dabei persönliche Motive, Einstellungen und Bewertungen. Sie hängen auch von den Vorerfahrungen eines Menschen ab. Beispiele für stressverstärkende Einstellungen sind Perfektionismus, Ungeduld, Kontrollneigung ("alles im Griff haben wollen"), Einzelkämpfertum ("am besten alles selbst machen wollen") und hohe Erwartungen an sich selbst.
  • Stressreaktionen stellen die körperliche und psychische Antwort des Organismus auf Anforderungen dar, also das, was man im Alltag als den gefühlten "Stress" bezeichnet.

Stressforscher gehen davon aus, dass diese Abläufe nicht starr aufeinanderfolgen. Die einzelnen Schritte beeinflussen sich gegenseitig: Eine "erfolgreiche" Reaktion führt dazu, dass der ursprüngliche Stressor nicht mehr als Bedrohung wahrgenommen wird.

Menschen, die beruflich oder privat stark beansprucht werden und bei denen sich infolgedessen das hormonelle Gleichgewicht über längere Zeit verändert, haben ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Stress verändert zudem den Schlaf, führt zu Verspannungen und fördert Depressionen.

Kann Stress auch Krebs auslösen? Manche Wissenschaftler vermuten: ja. Sie gehen davon aus, dass ein erhöhter Spiegel von Stresshormonen wie zum Beispiel Cortisol biochemische Veränderungen in Zellen auslöst und somit zur Tumorentstehung beitragen könnte. Eine andere Theorie besagt, dass die bei Stressreaktionen beteiligten hormonellen Veränderungen das Immunsystem schwächen und auch chronische Stoffwechselentgleisungen begünstigen, die als Krebsrisiko diskutiert werden.

Andere Fachleute halten dagegen: Das Immunsystem werde bei Stress nicht übermäßig geschwächt, teilweise gebe es auch förderliche Wirkungen. Darüber hinaus sind die Zusammenhänge zwischen Immunsystem und Krebsentstehung so komplex, dass eine eindeutige Beziehung trotz langjähriger Forschung bis heute schwer nachzuweisen ist.

Wissenschaftlich gesicherte Belege gibt es für beide Standpunkte bisher nicht. 

Die meisten Fachleute stützen ihre Theorien vielmehr auf Indizien: Einerseits nutzen sie Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung, bei der unter experimentellen Bedingungen die Wirkung von stressrelevanten Botenstoffen auf Zellkulturen untersucht wird. Auch Tierversuche werden zur Erforschung biologischer Veränderungen eingesetzt. 
Auf der anderen Seite werten die Wissenschaftler Daten aus beobachtenden epidemiologischen Untersuchungen in der Bevölkerung aus. Dabei wird über einen längeren Zeitraum, meist per Befragung, die Stressbelastung der Studienteilnehmer erhoben. Ob die Krebsrate unter besonders Betroffenen höher ist als unter eher entspannt lebenden Menschen, kann oft erst Jahre später erfasst werden.

Zum Weiterlesen

Methodische Probleme: Warum ein Zusammenhang schwer zu belegen ist

Biologische Forschung zum Thema Stress und Krebs hat das Problem, nur Antworten auf eine eng begrenzte Fragestellung liefern zu können. Beobachtungen zu kurzfristigen Veränderungen auf Zellebene lassen sich nicht ohne Weiteres auf komplexe Vorgänge im menschlichen Organismus übertragen, wo Veränderungen - wie bei der Tumorentstehung - über Jahrzehnte stattfinden. Auch Tierversuche sind nur von bedingter Aussagekraft.
Epidemiologische Studien haben oft andere methodische Probleme:

  • Was individuell als Stress empfunden wird, beeinflusst auch die Erinnerung und damit die Auskünfte der Studienteilnehmer. Selbst Wissenschaftler verwenden unterschiedliche Kriterien. Uneinheitliche Stress-Definitionen und Messgrößen führen zu Ergebnissen, die sich von Studie zu Studie nur bedingt miteinander vergleichen lassen.
  • Untersuchungen mit zu kleinen Teilnehmerzahlen oder zu kurzem Untersuchungszeitraum bergen die Gefahr, dass Zufallsbefunde zu große Bedeutung bekommen.
  • Bei nachträglichen Befragungen von Krebspatienten zu ihren Stress-Erfahrungen in der Vergangenheit, sogenannten retrospektiven Studien, können Erinnerungsfehler auftreten.
  • Prospektive Studien, bei denen Gesunde befragt und dann weiter beobachtet werden, dauern Jahre und Jahrzehnte, solche Untersuchungen sind mit enormem Aufwand verbunden und daher selten.
  • Werden die Studienteilnehmer nicht gefragt, oder fehlen Angaben zu weiteren Risikofaktoren wie etwa erblichen Faktoren, Tabak- und Alkoholkonsum und Essverhalten aus anderen Gründen, schwächt das die Aussagekraft der Arbeiten.
  • Studien zum Krebsrisiko, in denen die Teilnehmer zusätzlich zur Befragung auch körperlich untersucht und zum Beispiel Hormonspiegel gemessen wurden, liegen praktisch nicht vor.

Stress-Messung

Aussagekräftige Ergebnisse liefern nur Untersuchungen, die einen Zeitraum von mehreren Jahren abdecken.

Bislang liegen nur wenige Studien nach modernen wissenschaftlichen Kriterien zum Thema Stress und Krebsrisiko vor. Ihre Ergebnisse lassen sich auch nicht für alle Tumorarten verallgemeinern. 
Die im Folgenden vorgestellten Arbeiten zeichnen sich zum Beispiel dadurch aus, dass sie als mögliche Stressoren sowohl objektiv feststellbare Stressereignisse berücksichtigen, wie Todesfälle im engsten Familienkreis, als auch die persönliche Belastung der Betroffenen erfragen. Allerdings fehlen auch in diesen Studien weitgehend Angaben zu messbaren körperlichen Veränderungen bei den Teilnehmern, wie etwa der Konzentration von Stresshormonen.

Die Studienverantwortlichen nutzten verschiedene Ansätze, mit denen das theoretische Konzept Stress in eine praktisch messbare Form überführt werden konnte. Als Indizien für Stress verwendeten sie in ihren Untersuchungen beispielsweise:

  • Kritische Lebensereignisse: Situationen, die zu mehr oder minder abrupten Veränderungen der Lebensverhältnisse führen, zum Beispiel Todesfälle in der Familie. Viele solche kritischen Lebensereignisse lassen sich objektiv feststellen, die Erfassung ist nicht von der Erinnerung der Studienteilnehmer abhängig. Dazu nutzen Wissenschaftler beispielsweise anonymisierte öffentliche Register, etwa Familienstands- oder Sterberegister, ohne dass die Betroffenen persönlich kontaktiert werden müssten.
  • Alltagsbelastungen: Belastungen von geringfügigem Ausmaß, etwa Verlieren oder Verlegen von Dingen oder Feststecken im Verkehrsstau. Solche Erhebungen erfolgen mit Fragebögen oder Interviews.
  • Chronische Belastungen: Dies können Belastungen unterschiedlichen Ursprungs sein, die über einen langen Zeitraum bestehen; beispielsweise eine schwere Krankheit in der Familie oder dauerhaft hohe Anforderungen im Job. Auch sie können mithilfe von Fragebögen oder Interviews erhoben werden.

Beispiel 1: Dänische Studie 2006

In einer Übersichtsarbeit fassten im Jahr 2006 dänische Wissenschaftler Studien zum Zusammenhang von Brustkrebs und belastenden Lebensereignissen, Arbeitsstress und subjektivem Stresserleben im Alltag zusammen und bewerteten das vorliegende Wissen neu. Die Forscher konzentrierten sich dabei auf Studien, die zu wiederholten Zeitpunkten die Belastung der Teilnehmer erhoben hatten. Die angegebenen Untersuchungszeiträume lagen zwischen acht und 25 Jahren. Sie kamen zu folgenden Schlüssen:

  • Belastende Lebensereignisse: Mehrere groß angelegte Arbeiten konnten nicht nachweisen, dass Frauen, die ein Kind oder ihren Ehemann durch Tod verloren hatten, häufiger an Brustkrebs erkrankten.
  • Stress und Arbeit: Eine der erfassten Studien mit mehr als 37.500 Krankenschwestern zeigte, dass Frauen mit einem stressreichen Arbeitsplatz (hohe Anforderungen, geringe Einflussmöglichkeiten der Mitarbeiterinnen) etwas seltener an Brustkrebs erkrankten als andere.
  • Stress und Alltag: Die dänischen Wissenschaftler fanden zu dieser Fragestellung nur Untersuchungen mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Sie gingen davon aus, dass sich der Einfluss von Alltagsstress bisher nicht eindeutig bewerten lässt. Es gibt aber Hinweise darauf, dass es das Brustkrebsrisiko nicht zu steigern scheint, wenn Frauen ihren Alltag als besonders belastend wahrnehmen.

Beispiel 2: Englische Studie zu belastenden Ereignissen und Brustkrebsrisiko

Ein Beispiel für eine neuere Studie ist eine englische Arbeit, die im Jahr 2010 veröffentlich wurde. Auch hier gingen die Forscher auf einen möglichen Zusammenhang von Stress und Brustkrebs ein.

Die Forscher befragten knapp 11.500 Frauen im Alter von 41 und 80 Jahren, die noch nie an Brustkrebs erkrankt waren. Sie untersuchten, welche belastenden Ereignisse die Frauen erlebt hatten. Zudem sollten die Frauen bewerten, wie sehr sie dadurch aus der Bahn geworfen wurden. Nach dieser Eingangsbefragung wurden die Frauen durchschnittlich neun Jahre nachbeobachtet.

  • Im Schnitt hatte jede Studienteilnehmerin eine mittel- bis stark belastende Begebenheit durchzustehen. Die Berichte reichten von Arbeitslosigkeit oder Alkohol- beziehungsweise Drogensucht der Eltern bis zu Todesfällen unter engen Angehörigen oder schweren Erkrankungen im Familienkreis. Auch eigene Beziehungserfahrungen wie Trennung, Scheidung und Abtreibung zählten hinzu.
  • Während der Nachbeobachtung traten 313 Brustkrebsfälle unter den Frauen auf. Insgesamt konnten die Forscher jedoch keinen Zusammenhang zwischen objektiver Belastung, subjektivem Empfinden und Krebshäufigkeit feststellen.
  • Um sicherzugehen, dass nicht andere, übersehene Faktoren die Krebsrate beeinflussten, verantwortlich waren, untersuchten die Wissenschaftler auch, welche bekannten Risikofaktoren für Brustkrebs die Teilnehmerinnen aufwiesen. So sollte sichergestellt werden, dass die Auswahl der Studienteilnehmerinnen nicht versehentlich zu Verzerrungen bei den Ergebnissen führt. Der fehlende Einfluss von Stress blieb jedoch bestehen.

Beispiel 3: Nationales Dänisches Gesundheitsregister, 2015

2015 wurde eine große Untersuchung veröffentlicht, bei der U.S.-Forscher mit dänischen Wissenschaftlern zusammengearbeitet hatten. Sie hatten Daten des dänischen Gesundheitsregisters genutzt. Ihr Fazit: Sie konnten zumindest keinen Zusammenhang zwischen Krebs und besonders belastenden Lebensereignissen finden.

Beispiel 4: Auswertung von 16 prospektiven Studien, 2017

Anfang 2017 erschien eine Publikation, für die Wissenschaftler Daten aus insgesamt 16 Studien ausgewertet hatten. Alle stammten aus sogenannten prospektiven Studien, die Befragungen hatten also mit Gesunden begonnen, die über teils sehr lange Zeiträume begleitet worden waren. Insgesamt kamen so Daten von über 163.000 Männern und Frauen zusammen. Das vorsichtige Fazit der Autoren: Stress ist ein Faktor, der möglicherweise zu Krebs beitragen kann - auch wenn man Auswirkungen wie Rauchen und Alkohol rechnerisch "abzieht".

Der direkte Zusammenhang zwischen Stress und Krebs ist damit nicht sicher belegt, aber auch nicht ausgeschlossen. Trotzdem gibt es eine Vorstellung dazu, wie Stress indirekt zur Entstehung einer Krebserkrankung beitragen könnte.
In Belastungssituationen verhalten sich viele Menschen gesundheitsschädigend: Sie rauchen mehr, ernähren sich ungesund, trinken mehr Alkohol. Ähnliche Verhaltensweisen haben Wissenschaftler auch im Zusammenhang mit depressiven Symptomen beobachtet. Damit setzen sie sich bekannten Risikofaktoren für eine Krebserkrankung aus.

Auch bei Krebspatienten lassen sich solche indirekten Wirkungen von Stress auf die Krankheitsverarbeitung und den Umgang mit der Behandlung und ihren Folgen nachvollziehen: Krebspatienten, die lange mit hohen Belastungen gelebt haben und weiter leben, verfügen unter Umständen über weniger Energie zur aktiven Krankheitsbewältigung, und ihre Lebensqualität kann dadurch zusätzlich beeinträchtigt sein. 
Unter Umständen führen schwierige Lebensumstände auch dazu, dass eine Behandlung weniger intensiv verfolgt und von den Betroffenen weniger aktiv mitgetragen wird.

Für Gesunde: Programme zum Stressabbau gibt es heute in sehr vielfältiger Form und zugeschnitten auf die verschiedensten Lebenssituationen. Die meisten setzen sowohl auf das Erkennen und Abbauen von Stressoren wie auch auf schützende und gesundheitsfördernde Lebensweisen, wenn Stress ein unvermeidlicher Teil des Lebens ist. Der Hausarzt ist ein Ansprechpartner, auch die Krankenkassen bieten umfangreiches Informationsmaterial und oft Kurse zur Stressbewältigung an.

Für Krebspatientinnen und -patienten: Anleitungen zum Stressabbau und weitere Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung sind ein wichtiges Thema in der Nachsorge und Teil der Rehabilitation nach einer Tumorerkrankung. 
Ob eine stationäre oder ambulante Rehabilitation infrage kommt, können Patienten meist schon während der ersten Behandlung in der Klinik oder der Arztpraxis klären. Für Betroffene, die befürchten, dass sie zu viel Stress auf Dauer nicht alleine bewältigen können, sind die regionalen Krebsberatungsstellen erste Anlaufstellen; sie verweisen außerdem auf weitere geeignete Angebote.

Eine Liste nach Städtenamen geordnet hat der Krebsinformationsdienst unter dem Stichwort Krebsberatungsstellen zusammengestellt.

Zum Weiterlesen

Stress ist ein komplexes Phänomen. Im Folgenden hat der Krebsinformationsdienst zusammengestellt, welche Vorgänge bei Stress im Körper ablaufen - ein weiterer Hinweis darauf, warum ein Zusammenhang mit der Krebsentstehung so schwer nachzuweisen ist.

Wenn es schnell gehen muss: Fight-or-Flight-Syndrom

Wie geht der Körper mit Schreck oder plötzlicher Bedrohung um? Eine wesentliche Rolle spielen hier unbewusst ablaufende Prozesse im vegetativen Nervensystem, der Schaltzentrale des Körpers. Weiter beteiligt an der Steuerung sind hormonproduzierende Drüsen, vor allem die Nebennieren, aber auch weitere.

  • Der Körper nimmt einen Reiz auf, etwa einen lauten Knall, und verarbeitet ihn im Gehirn und Rückenmark.
  • Ein Teil des Zwischenhirns, der sogenannte Hypothalamus, sendet über einen großen Nervenstrang in der Wirbelsäule ein Signal an die Nebennieren.
  • Das Nebennierenmark beginnt, die Hormone Adrenalin und Noradrenalin zu bilden.
  • Adrenalin und Noradrenalin wirken schnell: Der Blutdruck steigt, der Mund wird trocken, Schweiß wird abgesondert. Energie wird bereitgestellt: Gesteuert von weiteren Hormonen baut die Leber gespeicherte Kohlenhydrate ab, der Blutzuckerspiegel steigt. Die Adrenalin-Wirkung hält nur für drei bis fünf Minuten an.

Wenn es länger dauert: Cortisol aus der Nebennierenrinde

Wenn der Körper nicht nur kurzfristig, sondern über einen längeren Zeitraum mit Belastungen fertig werden muss, übernehmen zusätzlich zum kurzzeitig wirkenden Adrenalin weitere Hormone wichtige Signalfunktionen. Insbesondere Cortisol aus der Nebennierenrinde spielt eine bedeutende Rolle.

  • Je nach den als Stress erlebten Umständen, etwa durch Zeitdruck bei der Arbeit, bildet der Hypothalamus im Gehirn das sogenannte Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH).
  • Das Hormon CRH gelangt über die Blutbahn zur Hirnanhangdrüse (Hypophyse), die ein weiteres Hormon ausschüttet, das sogenannte adrenocorticotrope Hormon (ACTH).
  • Der Blutkreislauf transportiert das ACTH nun zur Nebennierenrinde, die daraufhin die beiden Hormone Cortisol und Aldosteron abgibt.
  • Das Hormon Aldosteron wirkt vor allem auf die Regulation des Flüssigkeitshaushalts.
  • Cortisol wirkt auf viele verschiedene Gewebe im Körper. Das Hormon reguliert zum Beispiel den Blutdruck oder sorgt für eine erhöhte Zuckerkonzentration im Blut. Es greift außerdem in den Eiweißstoffwechsel ein. Normalerweise wirkt eine gesteigerte Cortisolkonzentration auch auf Hypothalamus und Hypophyse zurück. So kommt die Stressreaktion wieder zum Stillstand, der Cortisolspiegel sinkt wieder ab.

Die Cortisol-Ausschüttung aus der Nebennierenrinde ist, anders als die "Fight or Flight"-Reaktion, zum Teil von der individuellen Wahrnehmung eines Reizes abhängig. Wie eine Person eine Situation versteht, einschätzt, bewertet oder deutet, all das beeinflusst die Menge an Cortisol. Die Ausschüttung von Adrenalin als Folge plötzlicher Belastungen oder von Erschrecken ist dagegen weit weniger beeinflussbar durch solche psychische Faktoren.

Die Forschung zu den langfristigen Auswirkungen von Stress ist nicht zuletzt deshalb so schwierig, weil eine Stressreaktion zumindest indirekt praktisch alle Gewebe und Organe sowie alle Vorgänge im Körper beeinflusst. Auch sind die Auswirkungen von Person zu Person verschieden, und sie bleiben auch bei ein und demselben Menschen nicht immer gleich.

Wichtige Erkenntnisse haben Wissenschaftler zum Beispiel durch Studien an Fallschirmspringern erhalten. Sie konnten zeigen, dass die Konzentration von Stresshormonen im Körper zwar nach dem ersten Sprung hoch ist, sich aber in der Regel bei den folgenden Versuchen normalisiert: Die Fallschirmspringer wissen dann, was sie erwartet und schätzen die Situation nicht mehr als gefährlich ein.

Im Alltag lässt sich Stress, anders als bei einem Fallschirmsprung, nur selten auf eine einzige Ursache zurückführen. Tatsächlich sind es viele verschiedene Stressauslöser, die gleichzeitig auf einen Menschen einwirken und sich mit der Zeit verändern können. 
Welche Rolle Gewöhnung spielt, wie weit man sich anpassen kann und wann körperliche Grenzen überschritten werden, ist von Mensch zu Mensch verschieden - ebenso wie das, was als entlastend oder entspannend empfunden wird. Nur so lässt sich auch der Zusammenhang zwischen alltäglichem Leben und individuellem Stress-Level herstellen.

In diesem Bereich ist noch viel weitere Forschung notwendig. Eine wichtige Methode dazu sind epidemiologische Studien, in denen das Verhalten von großen Bevölkerungsgruppen über längere Zeit untersucht wird.

Genauere Antworten auf die Frage nach den Ursachen der großen Volkskrankheiten soll in Zukunft beispielsweise die "NAKO Gesundheitsstudie" geben. Diese Bevölkerungsstudie mit mehr als 200.000 Teilnehmern aus ganz Deutschland soll über einen langen Zeitraum neue Erkenntnisse zu häufigen Erkrankungen wie Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauf-Leiden oder auch Demenz liefern. Und vor allem sollen wichtige Auslöser identifiziert werden, von Lebensgewohnheiten über das Arbeitsumfeld bis hin zu psychischen Einflussfaktoren oder genetischen Auslösern. Begonnen hat die Untersuchung 2014, mehr unter www.nako.de.

Allgemeines

Eine allgemeine Einführung in das Thema bietet unter anderem folgendes Buch: Rensing L, Koch M, Rippe B, Rippe V (2005): Mensch im Stress. Psyche, Körper, Moleküle. Springer Spektrum, ISBN 978-3-642-35707-7

Leitlinien und evidenzbasierte Empfehlungen

Leitlinien, in denen die Rolle von Stress als Auslöser von Erkrankungen wie auch als Belastung in der Krankheitsverarbeitung thematisiert wird, sind in deutscher Sprache abrufbar bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) unter www.awmf.org/leitlinien. Die Eingabe spezifischer Stichworte in die Suchmaschine führt zu einer entsprechenden Auswahl.

Auf die Rolle psychoonkologischer Faktoren bei bereits Erkrankten geht insbesondere die S3-Leitlinie "Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten" ein, abrufbar unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/032-051OL.html.

Weitere Publikationen (Auswahl)

Für diesen Text hat der Krebsinformationsdienst neben Lehrbuchwissen und Leitlinien auf Artikel in wissenschaftlichen Fachzeitschriften zurückgegriffen. 

Lehrbuch: Bergelt C: Psychosoziale Risikofaktoren bei der Entstehung einer Krebserkrankung. In Mehnert A, Koch U (Hrsg.): Handbuch Psychoonkologie. Hogrefe Verlag, Göttingen, 1. Auflage 2016

Batty G David, Russ Tom C, Stamatakis Emmanuel, Kivimäki Mika. Psychological distress in relation to site specific cancer mortality: pooling of unpublished data from 16 prospective cohort studies BMJ 2017; 356:j108, doi:10.1136/bmj.j108

Coker AL, Bond SM, Pirise LA (2006). Life Stressors Are an Important Reason for Women Discontinuing Follow-up Care for Cervical Neoplasia. Cancer Epidemiol Biomarkes Prev 15: 321-325. doi:10.1158/1055-9956.EPI-05-0148

Gradus JL, Farkas DK, Svensson E, Ehrenstein V, Lash TL, Milstein A, Adler N, Sorensen HT (2015): Posttraumatic stress disorder and cancer risk: a nationwide cohort study. Eur J Epidemiology 30:32, doi: 10.1007/s10654-015-0032-7

Hefner J, Csef H. Psychoneuroimmunologie und Krebs: Neuere Forschungsergebnisse zu Katecholaminen, ß-Blockern und klinischen Implikationen. Der Onkologe 23: 845. doi: 10.1007/s00761-017-0294-7

Heikkilä K et al. (2013). Work stress and risk of cancer: meta-analysis of 5700 incident cancer events in 116 000 European men and women. British Medical Journal. 2013 Feb 7;346:f165. doi: 10.1136/bmj.f165 

Nielsen NR, Grønbæk M (2006): Stress and breast cancer: a systematic update on the current knowledge. Nature Clinical Practice Oncology 3: 612-620. doi: 10.1038/ncponc0652 

Palesh O, Butler LD, Koopman C, Giese-Davis J, Carlson R, Spiegel D (2007). Stress History and Breast Cancer Recurrence. J Psychosom Res 63: 233-39. doi:10.1016/j.jpsychores.2007.05.012  

Rensing L, Rippe V (2009). Ist psychischer Stress ein Risikofaktor bei der Entstehung und Entwicklung von Tumoren? Der Onkologe 15: 784-791. doi: 10.1007/s00761-009-1654-8  

Schwarz S, Messerschmidt H, Dören M (2007). Psychosoziale Einflussfaktoren für die Krebsentstehung. Medizinische Klinik 12: 967-979. doi: 10.1007/s00063-007-1128-y  

Spiegel D, Giese-Davis J. Depression and cancer: mechanisms and disease progression. Biol Psychiatry2003;356:269-82. doi:10.1016/S0006-3223(03)00566-3 pmid:12893103.

Surtees PG, Wainwright NWJ, Luben RN, Khaw KT, Bingham SA (2010). No evidence that social stress is associated with breast cancer incidence. Breast Cancer Res Treat 120: 169-174. doi: 10.1007/s10549-009-0545-6 

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