Was sind Zusatzbefunde eigentlich?
Aber was passiert, wenn dabei neben dem eigentlichen Untersuchungsziel ein Befund auffällt, nach dem nicht aktiv gesucht wurde? Solche sogenannten genetischen Zusatzbefunde können mit vererbten und vererbbaren Krankheiten in Verbindung stehen und von potenzieller Bedeutung für die Gesundheit oder Familienplanung der Betroffenen sein. Relevante Zusatzbefunde werden derzeit etwa bei 3 von 100 Untersuchten entdeckt.
Eine rechtliche Grauzone
Wann gelten Minderjährige als einwilligungsfähig?
In der Regel gelten Kinder unter 14 Jahren als nicht einwilligungsfähig. Dennoch muss die verantwortliche ärztliche Person die Entscheidungsreife im Einzelfall prüfen und beurteilen. Das gilt um so mehr, je näher die Minderjährigen der Vollendung des 18. Lebensjahres stehen. Neben der persönlichen Entwicklung ist für die Einstufung auch die Art und Tragweite der genetischen Untersuchung wichtig.
Der Umgang mit im Rahmen der translationalen Forschung erhobenen Zusatzbefunden ist rechtlich nicht eindeutig geklärt. Grundsätzlich regelt das Gendiagnostikgesetz (GenDG) die Anforderungen an eine gute genetische Untersuchungspraxis. Das beinhaltet, dass die verantwortliche ärztliche Person Untersuchte umfassend aufklären muss. Die Untersuchten willigen schriftlich in die besprochene genetische Diagnostik ein. Diesen gesamten Vorgang müssen Ärztin oder Arzt dokumentieren.
Anwendungsbereich: Der Anwendungsbereich des GenDG bezieht sich jedoch nicht auf genetische Untersuchungen zu Forschungszwecken. Wie Zusatzbefunde im Rahmen von Forschungsarbeiten einzuordnen sind, ist nicht klar festgelegt. Im Zusammenhang mit der Tumorcharakterisierung dient die humangenetische Diagnostik – und somit auch eventuelle Zusatzbefunde – nach Auffassung von Experten in der Regel einem übergeordneten Behandlungszweck und fällt somit unter das GenDG.
Spezialfall Minderjährige: Besonders schwierig ist die Situation im Hinblick auf die Aufklärung und Einwilligung von Minderjährigen, die unter Umständen noch gar nicht in der Lage sind, Bedeutung und Tragweite einer genetischen Untersuchung zu erkennen. Dennoch können auch Minderjährige einwilligungsfähig sein – hier gilt keine starre Altersgrenze (siehe Infobox rechts). Sollten sie oder ihre Eltern über Zusatzbefunde aufgeklärt werden und wenn ja, wann?
EURAT liefert Hilfe zum Umgang mit Zusatzbefunden
Um diese Frage zu adressieren und die alltägliche Forschungs- und Behandlungspraxis zu erleichtern, hat das interdisziplinäre Expertengremium EURAT an der Uniklinik Heidelberg Ende des vergangenen Jahres in einer Stellungnahme eine Reihe von praktischen Handlungsempfehlungen gegeben.
Wichtig: Dabei handelt es sich dabei nicht um ein offizielles, verbindliches Regelwerk. Die Stellungnahme soll den verantwortlichen ärztlichen Personen bei der Aufklärung, dem Einwilligungs- und dem Rückmeldeprozess im versorgungsnahen Kontext helfen.
Die Stellungnahme bietet auch konkrete Informationsmaterialien, die das Aufklärungsgespräch im Hinblick auf Zusatzbefunde unterstützen sollen. Zudem gibt es Druckvorlagen für die Einwilligung von Eltern sowie von einwilligungsfähigen Kindern. Bei einer unbefugten Mitteilung von Zusatzbefunden durch verantwortliche ärztliche Personen sehen die Autoren ein zivilrechtliches Haftungsrisiko, das Schadenersatzansprüche begründen kann.
Zusatzbefunde mitteilen oder nicht?
Den Schwerpunkt der Stellungnahme bilden medizinische, rechtliche und ethische Überlegungen, welche Art von Zusatzbefunden mitgeteilt werden sollten und welche nicht. Vereinfacht gesagt muss zwischen dem Recht auf Wissen und dem Recht auf Nichtwissen abgewogen werden.
Das Recht auf Nichtwissen könnte bereits durch den überraschenden Zusatzbefund aus einer Genanalyse beeinträchtigt sein, die oder der Minderjährige trage möglicherweise eine Erbkrankheit. Erschwerend kommt hinzu, dass gegebenenfalls auch Eltern und/oder Geschwistern selbst erblich betroffen sein können, die wiederum ein eigenes Recht auf Wissen bzw. Nichtwissen haben.
Nutzen und Belastung einer Mitteilung abwägen: Um das zu erleichtern, unterscheidet die Gruppe EURAT fünf Kategorien von Zusatzbefunden. Unterschieden wird zwischen behandelbaren und nicht behandelbaren Erkrankungen, jeweils mit frühem oder späterem Handlungsbedarf. Eine Anlageträgerschaft wird als fünfte Kategorie getrennt betrachtet.
Wie deutlich die Mitteilung erfolgen soll: Je nach Kategorie wird ein unterschiedlicher Nutzen für die Mitteilung abgeleitet. Daraus ergeben sich konkrete Empfehlungen für die verantwortlichen ärztlichen Personen bei der Befundbesprechung: So können sie Minderjährige oder ihre Eltern unterschiedlich intensiv auf einen möglichen aktuellen oder späteren Nutzen eines vorliegenden Zusatzbefundes hinweisen.
Zum Weiterlesen: Verwendete Quellen und vertiefende Informationen
Das Kürzel EURAT der intersisziplinären Heidelberger Projektgruppe steht für „Ethische und Rechtliche Aspekte der Translationalen Medizin“. Die Stellungnahme von EURAT ist frei zum Download zugänglich.
Neben der rechtlichen und ethischen Stellungnahme zu den Handlungsempfehlungen enthält das Dokument konkrete Materialien für den klinischen Alltag: Umfassende Informationsmaterialien sollen Ärztinnen und Ärzte bei der Aufklärung im Hinblick auf die Mitteilung von Zusatzbefunden unterstützen. Zudem gibt es Druckvorlagen für Eltern und einwilligungsfähige Minderjährige zur Dokumentation der Einverständniserklärung.
Hintergrundinformationen zur Exom- und Genomsequenzierung liefert das Informationsblatt „Personalisierte Krebstherapie“ des Krebsinformationsdienstes.
Weitergehende Informationen zum deutschen Modellvorhaben genomDE finden Sie auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums.
Rechtlicher Rahmen/Behördeninformationen
Der Wortlaut des Gendiagnostikgesetzes ist bei „Gesetze im Internet“ nachzulesen.